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Heidemarie Sarter
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Grundschule in Frankreich und Deutschland »
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Lernziele des Fremdsprachenunterrichts in der
Grundschule in Frankreich und Deutschland
1)
« Les objectifs de l’apprentissage linguistique à
l’école primaire, en France et en Allemagne »

Wenngleich auch relativ große Übereinstimmungen zwischen den in Frankreich und in Deutschland formulierten Zielsetzungen und Vorgaben für die Fremdsprachenarbeit in der Grundschule vorhanden sind, so schreiben sich diese doch in das jeweilige Ausbildungssystem ein. Ein direkter Vergleich erscheint wegen der unterschiedlichen Organisationsmodelle nicht sinnvoll, will man nicht bei der Formulierung recht abstrakter und allgemeiner Ziele stehen bleiben. Es bietet sich von daher an, den jeweiligen Stand der Dinge zunächst im Rahmen des je gegebenen Schulsystems darzustellen, um dann in einem weiteren Schritt zu vergleichenden Aussagen zu kommen.
In beiden Ländern setzt die Schulpflicht der Kinder mit sechs Jahren ein. Die Erfahrungen, die die Kinder in den davor liegenden Jahren gemacht haben, sind jedoch sehr unterschiedlich und spiegeln viel von den kulturell und bildungspolitisch je gegebenen gesellschaftlichen Rollenzuweisungen für Familie und Staat wider.


1. Frankreich
Zwar ist der Besuch der Vorschule, der école maternelle, für Kinder in Frankreich ebenso wenig verpflichtend wie der Besuch eines Kindergartens für ein Kind in Deutschland. Jedoch besuchten bereits im Jahre 1993 alle Kinder im Kindergartenalter, d.h. 100% aller drei- bis fünfjährigen in Frankreich eine école maternelle
2). Im Unterschied zu Deutschland ist der vorgrundschulische Bereich bereits integraler Bestandteil des Schulsystems, untersteht damit direkter staatlicher Aufsicht, und der Besuch der école maternelle ist demzufolge kostenfrei.
Dadurch sind nicht nur die Inhalte und Methoden der pädagogischen Arbeit in der école maternelle national vorgegeben
3); auch die Ausbildung der dort pädagogisch Wirkenden ist Lehrerausbildung und entspricht der der Lehrkräfte für die Grundschule (école élémentaire).

Abb. 1

école maternelle

Schulstufe Einteilung der
Schulstufe
Alter der Kinder
petite section 3
école maternelle section moyenne 4
grande section 5

Die interne Einteilung der école maternelle sieht insgesamt drei Jahrgangsstufen vor (cf. Abb. 1). Das letzte Jahr, die grande section, ist dabei bereits eng mit den darauf folgenden ersten beiden Grundschuljahren verbunden: so erstreckt sich der zweite Zyklus der Primarschule, der cycle des apprentissages fondamentaux, über das letzte Jahr der école maternelle und die beiden ersten Jahre der école élémentaire.


Abb. 2

Primarschule in Frankreich

Ausbildungs-
bereich
Schulstufe Alter der Kinder Einteilung der
Schulstufe

Abk. übergreifende Zyklen
    3 petite section cycle 1 cycle des premiers
  école maternelle 4 section moyenne   apprentissages
école   5 grande section   cycles des
primaire   6 cours préparatoire CP cycle 2 apprentissages
    7 cours élémentaire 1 CE 1   fondamentaux
  école élémentaire 8 cours élémentaire 2 CE 2   cycle des
    9 cours moyen 1 CM 1 cycle 3  approfon-
    10 cours moyen 2 CM 2   dissements

Die erste schulgebundene, d.h. institutionsgesteuerte Begegnung mit einer Fremdsprache setzt für alle Kinder mit Beginn des cycle des apprentissages fondamentaux ein. Der Erlass über die Stundenanzahl und -verteilung in der Primarschule vom 25. Januar 2002, veröffentlicht im Journal Officiel vom 10. Februar 2002, regelt die Modalitäten für die gesamte Primarschule. So sind in diesem zweiten Zyklus wöchentlich ein bis zwei Stunden der insgesamt 26 Wochenstunden für die Fremdsprache bzw. Regionalsprache zu verwenden. Sie stehen gleichberechtigt neben den anderen Aktivitäten, die sich auf die unten aufgeführten Bereiche konzentrieren, und damit bereits im letzten Jahr vor Beginn der Grundschule zielgerichtet auf diese hinarbeiten.

Abb. 3

Stundenverteilung im cycle des apprentissages fondamentaux

Bereich Minimum.
(Stunden/Woche)
Maximum.
(Stunden/Woche)
Sprachbeherrschung 9 10
hiervon täglich: Lesen und Schreiben insg. 2,5
„Zusammen leben“ 0,5 (wöchentliche Diskussion)
Mathematik 5 5,5
„Die Welt entdecken“ 3 3,5
Fremd- oder Regionalsprache 1 2
künstlerische Erziehung 3
Sport 3
(lt. Erlass vom 25.1.2002, Art. 2)

Diese Regelung wird mit dem Schuljahr 2005 verbindlich für das erste Jahr des zweiten Zyklus, also für die grande section der école maternelle 4), eingeführt; in den folgenden Schuljahren wird die verbindliche Einführung aufsteigend fortgeschrieben.
Im dritten, dem letzten Zyklus der Primarschule, wird das Stundenkontingent für die Fremdsprache auf mindestens 1,5 Stunden pro Woche erhöht (die Höchstzahl von zwei Stunden wöchentlich ist jedoch auch hier nicht zu überschreiten). Während dieser Ausbildungsphase ist der Fremdsprachenunterricht in stärkerem Maße in die mutter- bzw. zweitsprachlich-französische, die literarische und humanistische Ausbildung eingebettet. Die Bereiche „Künstlerische Erziehung“ (musikalische Ausbildung und visuelle Künste) und Sport sind mit jeweils drei Stunden wöchentlich vorgesehen und die wissenschaftliche Ausbildung mit insgesamt acht Stunden, von denen 5 bis 5,5 auf Mathematik und 2,5 bis 3 auf experimentelle Wissenschaft und Technologie entfallen (vgl. ebda.).

Abb. 4

Stundenverteilung im sprachlichen Bereich im cycle des approfondissements

Bereich Fachgebiet wöchentliche Mindest-
stundenzahl
wöchentliche Höchst-
stundenzahl
Gesamtstundenzahl des Bereichs
* französische Sprache

* literarische und
humanistische
Erziehung
Literatur (sagen, lesen, schreiben) 4,5 5,5 12
reflektierte Betrachtung der französischen Sprache (Grammatik, Konjugation, Rechtschreibung, Wortschatz) 1,5 2
Fremd- oder Regionalsprache 1,5 2
Geschichte und Erdkunde 3 2,5
Zusammen leben (Diskussions-erziehung) 0,5 0,5
(lt. Erlass vom 25.1.2002, Art. 2)

Ebenfalls mit einem Erlass vom 25. Januar 2002 5) geregelt ist die inhaltliche Seite der Fremdsprachenarbeit in der Primarschule in Frankreich. Der knapp 100seitige Anhang dieses Erlasses spezifiziert die Richtlinien und den Lehrplan für die Primarschule in ihrer Gesamtheit. In der Präambel wird zunächst darauf hingewiesen, dass die Primarschule ihrer republikanischen Tradition auch weiterhin gerecht werden muss: nämlich allen Kindern gleiche Chancen zu bieten und eine Integration in die französische Gesellschaft zu gewährleisten. Als erster Schritt auf einem langen Bildungs- und Ausbildungsweg ist sie der nachfolgenden Schulstufe, dem collège, ebenso Rechenschaft über die Lernerfolge der Schüler und Schülerinnen schuldig wie der Gesellschaft insgesamt. Im Anhang des Erlasses sind für die unterschiedlichen Lernbereiche jeweils die Lernziele - differenziert nach Fähigkeiten und Kenntnissen - als gesellschaftliche Verantwortung, die die Primarschule zu erfüllen hat, aufgeführt: „So ist festgelegt, was man zu Recht von der Primarschule erwarten kann, der ersten Ebene einer gemeinsamen Kultur.“ (S. 14: „Ainsi se définit ce que l’on est en droit d’attendre de l’école primaire, premier niveau d’une culture commune.“)

Es wird in der Präambel darauf hingewiesen, dass grund-legender (sic) Unterricht, elementare Ausbildung nicht gleichzusetzen ist mit „einfach“ oder „zusammenfassend“. In diesem Sinne sind auch in der école maternelle klare Lernergebnisse zu realisieren, selbst wenn die einzelnen Lernbereiche noch ineinander übergehen und nicht wie später dann in den beiden folgenden Zyklen, wo sie mehr und mehr differenziert werden, unterschiedliche Lernbereiche bilden: „Die Planung der Lernzuwächse muss hier ebenso stringent und anspruchsvoll sein wie in den Zyklen der Grundschule.“ (S. 13: „La programmation des apprentissages doit y être aussi rigoureuse et exigeante que dans les cycles de l’école élémentaire.“)

Die Notwendigkeit des Fremdsprachenlernens ist bereits im zweiten Absatz der Präambel angesprochen, und zwar als eine der Herausforderungen der heutigen (und zukünftigen) Zeit, die immer komplexer werden und die dazu zwingen, allen Schülern und Schülerinnen gleichermaßen - d.h. in je angemessener Weise - Aufmerksamkeit zu schenken. Fremdsprachenlernen ist notwendig, damit Frankreich die Anforderungen, vor die es, ebenso wie die meisten seiner Partner weltweit, gestellt ist, meistern kann. Um erfolgreich zu verlaufen, muss der Erwerb einer weiteren Sprache von jüngster Kindheit an erfolgen und darf sich auch in der Primarschule nicht auf eine Sensibilisierung beschränken: „Er verlangt also einen richtigen Unterricht, der sich im collège fortsetzt.“ (S. 13: „Il suppose donc un véritable enseignement se prolongeant au collège.“). Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Schüler/-innen nicht überfordert werden. Deshalb - und um daraus entstehende Mißerfolge zu vermeiden - ist er mit allen Bereichen und mit allen Fächern zu verbinden, insbesondere mit der Beherrschung der französischen Sprache. Denn diese ist Grundlage allen weiteren Lernens: „Die Übertragung der Nationalsprache ist das grundlegende Ziel. Sich in der französischen Sprache zu Hause zu fühlen, ist Voraussetzung für den Zugang zu jeglichem Wissen.“ (S. 13: „Transmettre la langue nationale est l’objectif fondamental. Se sentir chez soi dans la langue française est indispensable pour accéder à tous les savoirs.“)

Die Methodik muss - ausgehend von der Tatsache, dass in der Primarschule Lerner aller unterschiedlichen Begabungen zusammen sind - diese Vielfalt und Unterschiedlichkeit in Rechnung stellen, und auch beim einzelnen Kind weiterentwickeln, um zu gewährleisten, dass es die gesetzten Lernziele erreicht. Das dabei verfolgte Ziel geht über ein „Lernen mit allen Sinnen“ hinaus, sollen doch „neben dem Argumentieren und der intellektuellen Überlegung, deren Wichtigkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, der Sinn für die Beobachtung, die Freude am Experimentieren, die Sensibilität und die schöpferische Vorstellungskraft“ (S. 13: „[...] à côté du raisonnement et de la réflexion intellectuelle dont l’importance ne peut être minimisée, le sens de l’observation, le goût de l’expérimentation, la sensibilité et l’imagination créatrice [...]“, Hervorhebungen H.S.) entwickelt werden.

Es ist wichtiges Ziel der Primarschule, bei den Kindern in starkem Maße auf den Aufbau einer insbesondere literarisch und künstlerisch ausgerichteten Bildung hinzuarbeiten. In ersten Ansätzen sollen deshalb in allen künstlerischen Bereichen kulturelle und interkulturelle, d.h. auf das Verständnis für andere Kulturen ausgerichtete Grundlagen gelegt werden. Denn das Ziel einer „soliden Bildung [...] bildet sich nur in der frühen und ständigen Begegnung mit vielen und unterschiedlichen literarischen oder künstlerischen Werken heraus“ (S. 15: „[...] culture solide [...] ne se construit que dans la fréquentation précoce et assidue de productions littéraires ou artistiques nombreuses et variées.“) Hierbei sei die Rolle der Primarschule durch nichts zu ersetzen („rôle irremplaçable“) (ebda.).

Der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationsmittel ist durchgängiges Arbeitsprinzip und soll und kann vorrangig interdisziplinäre Ansätze und die Öffnung nach außen fördern. Damit sind sie auch für den Fremdsprachenunterricht in hervorragender Weise prädestiniert, die im Einzelnen gesetzten Ziele (s.u.) realisieren zu helfen. Da die im Bereich dieser neuen Medien erworbenen Kompetenzen den Schülern und Schülerinnen am Ende der Primarschule in einem Brevet informatique et internet niveau 1 bescheinigt werden, kann es sich nicht um einen von der jeweiligen Lehrkraft entschiedener und verantworteter Einsatz handeln, sondern die Fähigkeiten, die in diesem Zeugnis bescheinigt werden, sind durch regelmäßiges Arbeiten in allen Lernbereichen während der gesamten Primarschulzeit zu erwerben bzw. zu vermitteln. (S. 94: „les compétences du premier niveau du brevet informatique et internet font l’objet d’un travail régulier dans l’ensemble des domaines d’apprentissage, tout au long de l’école primaire“).

Die Präambel bezeichnet den vorgestellten Lehrplan der Primarschule als fordernd, als im Einklang mit den Erwartungen der französischen Gesellschaft und den zu Beginn des 21. Jahrhunderts gegebenen Notwendigkeiten. Sie sieht ihn aber auch gleichzeitig als Ausdruck des Vertrauens in die Lehrkräfte, die ihn in Zusammenarbeit mit dem weiteren Personal der Primarschule
6) und der Unterstützung der Eltern umzusetzen wissen werden (vgl. S. 15).

Ist in den Horaires et programmes d’enseignement de l’école primaire, Bulletin officiel du Ministère de l’Education nationale et du Ministère de la Recherche, n° 1 Hors-série, die allgemeine Grundlage gelegt, so finden sich die Präzisierungen für die Übergangszeit und das nach Sprachen differenzierte fremdsprachliche Programm im Bulletin officiel n°4 hors-série vom 20.08.2002.
7) Die Erlasse vom Februar 2002 legen in gewisser Weise die Rahmrichtlinien für die Fremdsprachenarbeit fest, während diejenigen vom August 2002 die einem Lehrplan entsprechende Konkretisierung für alle acht Sprachen, die in der Primarschule gewählt werden können, vornehmen.

Das endgültige Programm wird mit Schuljahresbeginn 2005 aufsteigend verbindlich sein, so dass mit Beginn des Schuljahres 2010 das gesamte Programm in Kraft getreten sein wird. Vom Übergangsprogramm betroffen werden die Jahrgänge sein, die in der Zeit zwischen 2002 und 2009 den cycle des approfondissemens durchlaufen.

Das Übergangsprogramm macht aufgrund der geringeren Unterrichtszeit in der Fremdsprache Abstriche an den zu erreichenden Lernzielen im cycle des approfondissements. So ist als Anforderung im Programme transitoire... ausgeführt, dass die Schüler am Ende des Zyklus ein „niveau voisin du niveau A1 de l’échelle de niveaux du Cadre européen commun de référence pour les langues publié par le Conseil de l’Europe“ erreicht haben sollen (S. 7), während nach der durchgängigen Einführung die am Ende der Primarschule erreichte fremdsprachliche Kompetenz dem Niveau A1 des europäischen Referenzrahmens zu entsprechen hat (s.u.).

 
 

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