Tele-Tandem
Évaluation / Auswertung 2002-2004

Tele-Tandem
Auswertung des DFJW-Projekts
2002 – 2004
Inhaltsverzeichnis


 
 
II. Erste Erkenntnisse und didaktische Weiterentwicklung

2. Weiterentwicklung der Pädagogik beim Schüleraustausch

Von der einfachen Schulpartnerschaft zum gemeinsamen Projekt

Bei der ersten Fortbildung im Rahmen des Projekts Tele-Tandem 2002 berichteten die eingeladenen Lehrer über ihre bisherigen Erfahrungen im Schüleraustausch. Meistens wurden beim Schüleraustausch Besichtigungen organisiert, aber diese Erkundung der Umgebung des Partners ging kaum über eine Art „Schülertourismus“ hinaus. Die Beispiele, über die die Lehrer berichteten, zeigten deutlich, dass es kaum einen Austausch zwischen den Schülern gab (weder spontan noch organisiert), dass die Schüler vielmehr in „nationalen“ Gruppen blieben. Die Lehrer waren sich zwar über das Potential einer Begegnung hinsichtlich des Lernens und des Austauschens bewusst, wussten aber nicht, wie sie dies erreichen konnten.

Das Tele-Tandem-Projekt sieht ein pädagogisch-didaktisches Instrumentarium vor, das sich auf die Pädagogik der Begegnung und auf die Tandem-Methode stützt. Beide Ansätze wurden zu großen Teilen vom DFJW im Rahmen von Jugendbegegnungen entwickelt. In einer derart gestalteten Konzeption sind Begegnung und Austausch unabdingbar. Die Schüler arbeiten zusammen an einem gemeinsamen Projekt, wobei die Tandem-Phasen der Spracharbeit dienen. Nach Aussage der Lehrer zwingt die Tandem-Arbeit - und noch mehr die gemeinsame Arbeit an einem Thema – die Schüler dazu, zusammen zu arbeiten und sich aufeinander zu beziehen. Im Übrigen ist die Begegnung, dank des Internets (Tele-Tandem) nicht mehr nur ein punktuelles Ereignis, das mit einer Reise verbunden ist. Vielmehr spielt die Begegnung eine wichtige Rolle sowohl im Verlauf des Gesamtprojekts (das Projekt sieht 6 Wochen vor der Begegnung, 1 Woche Begegnung und 2 Wochen nach der Begegnung vor) als auch hinsichtlich des Klassenverbunds, insofern von- und miteinander Lernen und eine Öffnung nach außen allgemeine Ziele geworden sind.

Man kann bei den 12 Partnerschaften, die Tele-Tandem 2003/2004 testeten, zwei unterschiedliche Herangehensweisen feststellen:

- die Arbeit an einem gemeinsamen Thema: die beiden Klassen arbeiten parallel am selben Thema und machen dazu Spracharbeit. Die Begegnungen (physisch oder über den Computer) dienen der Wiederholung und Anwendung von Vokabular oder – wenn die Tandem-Methode verwendet wird – der Erweiterung des Wortschatzes. Die angewandte Didaktik zielt auf Spracherwerb ab und bleibt dem traditionellen Sprachunterricht ziemlich ähnlich. Die Tandemarbeit reproduziert schulische Lernsituationen, die vom Lehrer vorgegeben sind und für die er Übungsformen präsentiert. Die Autonomie der Schüler und ihr Einfluss auf den Ablauf der Begegnung bleiben begrenzt.

- eine Methode, die sich stark an Projektarbeit orientiert: die beiden Partnerklassen definierten ein gemeinsames Projekt, um das herum sich die Begegnung organisiert (Vorbereitung und Präsentation einer Zirkusaufführung, Globalsimulation eines deutsch-französischen Planeten, Mini-Projekte). Die Schwierigkeit und Komplexität der Kommunikation mit einem Partner, dessen Sprache man nicht beherrscht, sowie der Wunsch, das gemeinsame Projekt gelingen zu lassen, machen die Kooperation unabdingbar. Da man als (deutsch-französische) Gruppe in der Summe über alle notwendigen sprachlichen Mittel verfügt, um das Projekt verwirklichen zu können, brauchen die Schüler nur zu lernen, wie das Wissen und die Kompetenz jedes Einzelnen genutzt werden kann und wie man sich gegenseitig hilft, um das sprachliche Können und das thematische Wissen aller auszubauen. Die Tandem-Methode kann zu diesem wesentlichen Bestandteil des Projekts viel beitragen. Die Schüler entwickeln kollektive Lernstrategien. Das Projekt wird dann zu einem Katalysator und stimuliert ein selbstbestimmtes Lernen der Sprache.


Die Lehrer, die in ihren Klassen mit der Methode Projektarbeit gearbeitet haben, weisen darauf hin, dass das Projekt zentraler Auslöser für die Lernerfolge wurde:

- Das Projekt begründet die Kommunikation und macht sie notwendig, es macht den Spracherwerb unerlässlich, indem es Lösungen einfordert, um die technischen und sprachlichen Kommunikationsschwierigkeiten zu überwinden.

- Das Projekt zeigt, dass mit unterschiedlichen Vorgehensweisen vorgegangen werden kann. An diesem Punkt findet interkulturelles Lernen statt.

- Durch das Projekt kann ein gemeinsamer Raum, ein Raum der Begegnung geschaffen werden, der den Schülern eine transkulturelle Erfahrung vermittelt und aufzeigt, was es heißen kann, sich an einem Europa der Bürger zu beteiligen.

Interessant ist die Feststellung, dass die gewählten Projekte viel Raum für kreative Aktivitäten lassen (Zirkus-Workshops, Kuchen backen etc.). Jedoch dürfen sie nicht zu groß angelegt sein, da sich die Sprachkompetenz der Schüler ja auf Anfänger-Niveau bewegt und die Möglichkeiten des verbalen Austausches daher begrenzt sind. Zusammen etwas zu tun dient als Etappe und als Unterstützung des Spracherwerbs.

Wenn das Projekt wirklich ein Katalysator für das Lernen werden soll – und das muss hier noch einmal unterstrichen werden -, muss es motivierend und interessant für die Schüler sein. Sie müssen sich das gemeinsame deutsch-französische Projekt aneignen können und sich damit identifizieren. Besonders wichtig dafür ist eine weitreichende Lernerautonomie: schon die Tandem-Methode setzt beim Rollenwechsel Schüler-Lernender und Schüler-Lehrender auf selbstbestimmtes Lernen; die Projektarbeit geht darüber noch hinaus, weil die Schüler mitentscheiden.

Weil das gemeinsame Projekt aus den gemeinsam getroffenen Entscheidungen der Schüler und ihrer Lernanstrengungen hervorgeht, verbinden sich die beiden Klassen zu einer neuen Gruppe, zu einer deutsch-französischen Klasse. Die Gruppe wird zu einer Ressource für den Erfolg des Projekts in dem Sinne, als dass Kompetenzen und Fertigkeiten der Einzelnen den Anderen zur Verfügung gestellt werden und (Sprach-)Lernstrategien, die auf Gegenseitigkeit und Autonomie beruhen, entwickelt werden.

Da wo die Lernerautonomie stimuliert werden konnte, scheinen die Schüler in der Lage, autonome Lernstrategien wie sie die Tandemmethode induziert auch spontan anwenden zu können, selbst beim Spielen. Ein Lehrer erzählt zum Beispiel, dass eine Schülerin und ihre Partnerin mit Puppen spielten und sich dabei im Tandem-Verfahren einen gemeinsamen zweisprachigen Wortschatz aneigneten.

Spracherwerb findet statt, weil sich das Kind über die Kompetenzen des Partners eine Sprachpraxis aneignet. Diese Sprachpraxis umfasst sowohl Sprachkenntnisse (der Fremdsprache, der Muttersprache und auch Kenntnisse bezüglich des Unterschieds der beiden Sprachen) als auch ein sprachliches und soziales Verhalten, das in der jeweiligen interkulturellen Situation angemessenes ist. Die Sprache des Partners zu lernen ist kein Selbstzweck mehr. Vielmehr ist diese Sprache das notwendige Werkzeug, um sich auszutauschen, um das Projekt umzusetzen. Die sprachlichen Lernziele definieren sich durch die Anforderungen der Begegnung und des Projekts. Das übergeordnete Lernziel besteht darin, dass sich die Kinder kooperative Lernstrategien aneignen, die sie mit oder ohne Unterstützung ihrer Lehrer anwenden.

Die Erwartungen, die das DFJW an das von ihm konzipierte Tele-Tandem-Projekt knüpfte, scheinen sich durch den beschriebenen Ansatz der Projektpädagogik zu bestätigen. Mit dieser Methode kann die Begegnungssituation (d.h. die authentische Kommunikation) voll genutzt und die Entwicklung dauerhafter Lernstrategien stimuliert werden. Das gemeinsame Projekt ist eine Herausforderung für die beiden Klassen: Sie müssen kooperieren, um das Projekt gemeinsam auszuarbeiten, sie müssen sich gegenseitig helfen, um es umzusetzen. Die Kooperation schweißt die deutsch-französische Gruppe umso mehr zusammen, als dass Anstrengungen notwendig sind, um die (technischen und sprachlichen) Kommunikationsschwierigkeiten zu überwinden. Die Schüler entwickeln kollektive Lernstrategien. In ihren Augen ist es das wichtigste Ziel, dass ihr deutsch-französisches Projekt gelingt, während es für die Lehrer eher um die Umsetzung dieser Strategien geht.

Der methodisch-didaktische Ansatz der Projektarbeit sollte jedoch für die Lehrer künftiger Testklassen expliziter gemacht werden.

 
 

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